Arzt oder lieber Bootsbauerin? – Herr Alberts im Interview

Nach fast zwei Jahren Lockdown und „Oh man, es ist alles so langweilig“ ist auf einmal ganz viel los bei uns in der Schule. Neben Frau Strüwe haben wir zum Beispiel noch weitere Unterstützung von außen bekommen: Herr Alberts von der Agentur für Arbeit unterstützt zusammen mit dem Berufsberatungsteam ab jetzt alle Schüler:innen ab der neunten Klasse auf ihrem Weg nach der Schule.

Wer sind Sie überhaupt?

Ich heiße Jan-Martin Alberts, bin 32 Jahre alt und ab jetzt als Berufsberater hier am ESG tätig.

Was genau machen Sie beruflich und was wird Ihre Aufgabe bei uns am ESG sein?

Beruflich habe ich schon einiges ausprobiert, nach dem Abi habe ich erst die Ausbildung zum Medizinischen Fachangestellten gemacht, danach noch „Angewandte Geographie“ studiert; die letzten Jahre war ich dann bei der Arbeitsagentur als Arbeitsvermittler tätig, habe aber gemerkt, dass mir die Arbeit mit Jugendlichen besonders viel Spaß macht. Seit Mai bin deshalb Berufsberater und biete zum Beispiel persönliche Sprechstunden an, aber ich gehe auch in die Klassen und mache dort Vorträge oder Workshops zum Thema Berufsorientierung. Da werdet ihr hier aber bestimmt auch bald von hören.

Was wollten Sie früher werden?

Als Kind wollte ich super gerne Lokführer werden. Ich fand einfach die Vorstellung, dass so ein riesiger Zug hinter einem herfährt cool.  

Und wenn Sie jetzt den Job wechseln müssten, was würden Sie machen?

Ich würde überhaupt nicht wechseln – wenn man Montag morgens aufsteht und schon richtig Bock auf den Tag hat sollte man das auch nicht.

Was ist der kurioseste Berufswunsch, den jemand bei Ihnen geäußert hat?

Da gibt es einiges. Besonders interessant finde ich aber eine Schülerin, die gerne mit Holz arbeiten möchte – am liebsten als Bootsbauerin. Gleichzeitig will sie aber hier in Gütersloh bleiben, wo es bekanntlich eher wenige Seefahrtsbetriebe gibt. Wir sind deshalb auch noch dabei, eine Lösung zu finden.

Was halten Sie von den „klassischen“ Berufsorientierungsangeboten (z.B. Girls‘ Day, Berufsfelderkundung, Praktika, Berufsmessen usw.)? Die meisten Schüler:innen sind davon ja eher genervt…

Also aus Schülerperspektive kann ich das total nachvollziehen – ich hatte da auch immer eher wenig Lust drauf, vor allem, wenn man erwartet, dass dort der perfekte Beruf ausgespuckt wird. Das klassische Beispiel ist ja immer jemand der mit Tieren arbeiten möchte und dann Metzger vorgeschlagen bekommt. Aber kein Test, keine Berufsmesse oder Potenzialanalyse und auch kein Berufsberater wird euch sagen können: „Das ist der eine perfekte Job für Dich“. Diesen zu finden ist immer ein langer Weg, auf dem ich euch aber gerne begleite und helfe. Denn es gibt einige Tricks, die ich euch natürlich gerne verrate.

Sie beraten ja schon ab der neunten Klasse. Kann man in diesem Alter überhaupt schon wissen was man will? Oder liegt genau darin der Witz, dass man sich eben noch nicht direkt festlegen muss?

Generell würde ich sagen, es ist nie zu früh sich Gedanken über die eigene Zukunft zu machen. Spätestens zwei Jahre vorm Schulabschluss sollte man anfangen, sich ganz konkret zu informieren.
Trotzdem kann man schon früher Erfahrungen sammeln – ich bin da ein ganz großer Freund von Praktika – um sich danach gezielter zu orientieren und nicht kurz vor dem Abschluss dazustehen und am Ende irgendwas zu machen. Allerdings ist auch das wirklich kein Drama. Es muss nicht immer alles linear verlaufen und es auch nie zu spät sich umzuorientieren.

Was würden Sie jemandem raten, dessen Eltern ihm/ihr vom Traumberuf abraten oder einen anderen Beruf aufzwingen wollen?

Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Zum Beispiel kann man, wenn die Eltern nur den eigenen Wunsch ablehnen ganz offen fragen: „Was soll ich denn eurer Meinung nach tun?“ um so ins Gespräch zu kommen. Oder falls die Eltern einen konkreten Beruf haben, den sie befürworten, kann man auch in diesem Feld ein Praktikum machen. Vielleicht stellt man ja dabei fest, dass dieser Beruf auch Spaß macht, oder, falls es ganz schrecklich ist, kann man auch diese Erkenntnis seinen Eltern vorbringen. Am wichtigsten ist es nämlich wirklich, dass man Spaß an seinem Job hat und damit glücklich wird, und meistens wissen das die Eltern auch. Aber falls selbst das nicht hilft könnt ihr natürlich auch mit euren Eltern in die Sprechstunde kommen um so eine Lösung zu finden.

Bei welchen Fragen oder Problemen können Sie helfen?

Eigentlich bei allem, was mit Berufs- und Zukunftsplanung zu tun hat. Es muss auch nicht immer nur um Ausbildung oder Studium gehen: Viele Schüler:innen kommen auch mit Fragen zu FSJ, Auslandaufenthalten nach dem Abschluss und so weiter. Auch wenn jemand Hilfe braucht, weil er oder sie überhaupt keine Vorstellung von den eigenen Interessen und Stärken hat kann er/sie zu mir kommen, dann würden wir gemeinsam über ganz viele Fragen und Überlegungen versuchen herauszufinden, in welche Richtig die Reise gehen kann. Und, auch ganz wichtig: Falls jemand überlegt die Schule abzubrechen, bitte auch vorbeikommen. Es ist ganz bestimmt keine Schande, die Schule mit der FOR zu verlassen, aber es trotzdem wichtig sich eine Perspektive zu schaffen – das geht eben auch ohne Abi.

Was denken Sie über die sozialen Vorstellungen von geschlechts- oder abschlussabhängigen Berufen („Als Junge in den Kindergarten?“ „Du hast doch Abi, warum willst du eine Ausbildung machen?“)? Haben Sie Tipps wie man sich selbst davon frei machen kann?

Ganz ehrlich? Einfach machen. Ich habe selbst eine Ausbildung zum Medizinischen Fachangestellten gemacht und war dort auch auf der ganzen Berufsschule der einzige Mann.
Häufig merkt man hinterher, dass man sich viel zu viele Gedanken gemacht hat was andere sagen oder denken könnten, wenn es in Wirklichkeit keinen interessiert. Oder, noch besser, häufig bekommt man auch viel positives Feedback wenn man nicht nur die klassischen Stereotype bedient – männliche Erzieher werden zum Beispiel ganz viel gesucht.

Man hört ja häufig, dass die Zukunft der Arbeitswelt ganz anders aussehen wird als jetzt, dass viele Berufe gar nicht mehr gebraucht werden usw. Was antworten Sie?

Natürlich werden einige Branchen immer mehr automatisiert werden und die (Arbeits-)welt wird sich verändern. Das hat sie aber immer schon getan – oder arbeiten immer noch 80% eurer Eltern in der Landwirtschaft? Wer sich da ganz unsicher ist kann sich übrigens mal den Job Futuromat angucken und dort ausprobieren, ob der Traumberuf von der Automatisierung betroffen sein könnte. Aber ich weiß, dass es in eurer Generation im Moment viel Unsicherheit in Bezug auf die Berufswahl gibt, auch durch Corona. Trotzdem bin ich mir sicher: Wir können in jedem Fall eine Lösung finden

Ein paar entweder oder Fragen:

Ausbildung oder Studium? Ausbildung

Selbstständig oder angestellt? Angestellt

Alleine im Büro oder unter Menschen? Unter Menschen

Chips oder Schokolade? Schokolade

Hund oder Katze? Hund

Mathe oder Deutsch? Deutsch

Und, ganz wichtig, die oder das Nutella? Die Nutella 🙂

Immer sympatisch – Berufsberater Herr Alberts

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