Die Tür durch die Angst – oder: an Ängsten wachsen
Der Kinderbuchautor Paul Maar erzählt, wie er als Junge auf dem Dachboden seiner Großeltern eine unheimliche alte Tür entdeckt. Die Tür, die durch herumstehende alte Möbel und Spinnenweben fast den Blicken entzogen ist, macht ihm Angst und bereitet ihm Alpträume. Auf die Frage, wohin denn diese Türe führe, antwortet der Großvater „Nirgendwohin“. Trotzdem macht sie ihm Angst und er malt sich aus, was für Gefahren hinter ihr wohl lauern mögen.
Der Großvater kennt nur ein Rezept, diese Angst zu überwinden: Paul muss die Tür öffnen. Mit Schweiß auf der Stirn, trockenem Mund und zitternden Händen steht er vor der Tür und bittet schließlich seinen Großvater, doch für ihn die Tür zu öffnen. Dieser jedoch antwortet: „Du musst es selbst tun, dann wirst du nie wieder Angst haben.“ Schließlich fasst Paul sich ein Herz und öffnet die Tür mit einem Ruck. Dahinter: Nichts als eine rote Backsteinmauer. Früher hatte es eine Verbindung zum Nachbarhaus gegeben, die später zugemauert worden war. Das Wichtige aber: Paul hatte es geschafft, durch die Angst zu gehen.
Auch als Erwachsener habe er immer wieder Angst gehabt, berichtet Paul Maar, aber das Rezept seines Großvaters, durch die Angst zu gehen, hat ihm immer wieder geholfen.
Es gibt Situationen, denen wir aus Angst lieber aus dem Wege gehen. Und je mehr wir das tun, je mehr wir diese Situationen meiden, um so mehr kann die Angst wachsen und größer werden. Da kann tatsächlich das Rezept helfen, durch die Angst zu gehen. Und hinterher fühlt man sich besser, weil man es geschafft hast! Psycholog*innen nennen das auch die Erfahrung von Selbstwirksamkeit.
Der Großvater ist sehr klug. Hätte er seinem Enkel die Aufgabe abgenommen, hätte dieser nicht die Erfahrung machen können, durch die Angst zu gehen und sich hinterher das großartige Gefühl zu haben, es selber geschafft zu haben. Was der Großvater aber tut, ist, seinen Enkel zu ermutigen. Er glaubt an ihn und zeigt ihm, dass er die Kraft und Stärke in sich trägt, es zu schaffen.
Für viele kleinere und größere angstmachende Situationen ist der Weg durch die Angst das einzige Mittel, wenn man sie überwinden will. Dazu brauchen wir aber Menschen, die an uns glauben und uns unsere Stärken und Ressourcen bewusst machen: Eltern, Verwandte, Freund*innen, Lehrer*innen, Berater*innen oder Therapeut*innen.
I learned that courage was not the absence of fear, but the triumph over it.The brave man is not he who does not feel afraid, but he who conquers that fear.
Ich habe gelernt, dass Mut nicht die Abwesenheit von Furcht ist, sondern der Triumph über sie.Der mutige Mensch ist nicht der, der keine Angst hat, sondern der, der die Furcht besiegt.
Nelson Mandela (1918-2013; südafrikanischer Bürgerrechtler und Politiker)
Wenn du das Gefühl hast, mit einer bestimmten Angst oder Ängsten, nicht so einfach klarzukommen, braucht es möglicherweise fachkundige Unterstützung. Das Beratungsteam kann dir dabei weiterhelfen, entsprechende Hilfe zu finden. Dazu beim nächsten Mal mehr!
Tobias Beckervordersandforth, Beratungslehrer und Coach (DGfC)