Es ist Dienstag – herzlich willkommen zur Andacht@Home

Die heutige Andacht in der Aula ist ausschließlich für die Klassenstufe 5 als Präsenzverstaltung gestattet – dennoch kommen wir hier alle in den Genuss einiger stiller Gedanken zum Start in die neue Woche.

Groß und klein

„Wenn ich groß bin“, sagte meine Nichte, als sie noch klein war, vier Jahre alt vielleicht – „wenn ich groß bin“, sagte sie plötzlich, „trink ich mir einen Schnaps.“ Was sich meine vierjährige Nichte wohl unter einem Schnaps vorgestellt hat? Wahrscheinlich gar nichts Bestimmtes. Hauptsache, groß sein und dürfen, was die Erwachsenen dürfen. Zum Beispiel einen Schnaps trinken.

„Wenn ich groß bin“, sagt der Zehnjährige, der neu am Gymnasium ist und sich noch nicht gut zurechtfindet – „wenn ich groß bin, werde ich Lehrer. Dann sage ich den anderen, wo es lang geht.“ Und seine ältere Schwester: „Wenn ich erst volljährig bin, gehe ich jeden Abend in die Disco und bleibe, so lange ich will.“ Erwachsene sind klug und stark und unabhängig. Wer groß ist, braucht vor nichts mehr Angst zu haben.

Merkwürdig nur, dass die Erwachsenen immer noch groß werden wollen. Deswegen nehmen sie an den Olympischen Spielen teil und trainieren jahrelang, damit sie dort gewinnen. Oder sie arbeiten von morgens bis abends, um Erfolg im Beruf zu haben und möglichst viel Geld zu verdienen. Dann ist man richtig groß. Ein Wunsch, der offenbar im ganzen Leben nicht aufhört.

Im Markusevangelium steht auch eine Geschichte über Große und Kleine:

„Jesus und seine Jünger kamen nach Kafarnaum. Und als er dann im Haus war, fragte Jesus sie: Was habt ihr unterwegs diskutiert? Sie aber schwiegen. Sie hatten nämlich unterwegs miteinander darüber gesprochen, wer der Größte sei. Und er setzte sich und rief die Zwölf, und er sagte zu ihnen: Wenn jemand der Erste sein will, dann soll er der Letzte von allen und der Diener aller sein. Und er nahm ein Kind, stellte es in die Mitte, schloss es in die Arme und sagte zu ihnen: Wer in meinem Namen ein Kind aufnimmt wie dieses, nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt nicht mich auf, sondern den, der mich gesandt hat.“

Wer klein ist, möchte groß werden; wer schon groß ist, noch größer; und die Jünger unterhalten sich darüber, wer der Größte ist. Als Jesus fragt: „Was habt ihr unterwegs diskutiert?“, schweigen sie verlegen. Die Jünger ahnen schon, dass Jesus nicht so wichtig findet, wer am klügsten, stärksten, unabhängigsten ist und wer im Hundertmeterlauf gewinnt. Im Gegenteil. „Wenn jemand der Erste sein will“, sagt Jesus, „dann soll er der Letzte von allen und der Diener aller sein.“

Damit sie ihn besser verstehen, zeigt Jesus den Jüngern ein Kind – kein außergewöhnliches, kein Wunderkind, nicht den Klassenbesten, sondern ein ganz normales Mädchen oder einen ganz normalen Jungen. Jesus stellt das Kind in die Mitte der Jünger, umarmt es und sagt: „Wer in meinem Namen ein Kind aufnimmt wie dieses, nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt nicht mich auf, sondern den, der mich gesandt hat.“

Jesus hat damit beiden etwas zu sagen: Kindern wie Erwachsenen – allen, die groß und immer größer sein wollen. „Das braucht ihr gar nicht“, sagt Jesus zu den Kindern. „Ihr seid schon groß. Denn ihr seid mir wichtig. Darum seid ihr Gott selber wichtig. Größer geht überhaupt nicht.“ Und zu den Erwachsenen sagt Jesus: „Strengt euch doch nicht so an. Erfolg und viel Geld sind ja gut und schön. Aber das Wichtigste bekommt ihr geschenkt, genau wie die Kinder: dass Gott noch viel mehr mit euch vorhat. Nehmt euch die Kinder deshalb zum Vorbild, und lasst euch überraschen.“

Was die Jünger Jesus antworten, bekommen wir nicht erzählt. Das ist auch, glaube ich, nicht nötig. Die Jünger werden Jesus schon verstanden haben. Ihr sicher auch: wie gut es ist, dass wir keine bestimmte Größe brauchen, damit Gott für uns da ist.

Er segne uns und schenke uns allen, Kleinen und Großen, einen schönen Tag und eine gute Woche.

Martin Schewe, Schulpfarrer am ESG

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