Es ist Dienstag – herzlich willkommen zur Andacht@home

Der Zappel-Philipp und andere Kinder

„‚Ob der Philipp heute still

Wohl bei Tische sitzen will?’

Also sprach in ernstem Ton

Der Papa zu seinem Sohn,

Und die Mutter blickte stumm

Auf dem ganzen Tisch herum.

Doch der Philipp hörte nicht,

Was zu ihm der Vater spricht.

Er gaukelt

Und schaukelt,

Er trappelt

Und zappelt

Auf dem Stuhle hin und her.

‚Philipp, das missfällt mir sehr!’“

Heute möchte ich mit euch über zwei Geschichten nachdenken, in denen Kinder vorkommen, in der ersten ein etwas schwieriges Kind. Die Geschichte vom Zappel-Philipp stammt aus dem „Struwwelpeter“. Das ist ein Kinderbuch, das vor über hundertfünfzig Jahren gedichtet und gezeichnet wurde und bis heute gedruckt und gelesen wird. Ich nehme an, einige von euch Schülerinnen und Schülern kennen den „Struwwelpeter“ immer noch.

Philipp verärgert seine Eltern, weil er beim Essen nicht stillsitzen kann.

„Er gaukelt

Und schaukelt,

Er trappelt

Und zappelt

Auf dem Stuhle hin und her.

‚Philipp, das missfällt mir sehr!’“

Offenbar leidet der Junge unter ADHS, dem Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom. Philipp teilt diese Störung mit den anderen Helden aus dem „Struwwelpeter”. Ein Buch über Kinder, die sich nicht konzentrieren können, an keine Regeln halten und nicht gehorchen. Statt auf den Schulweg zu achten, starren sie in die Luft, lutschen zwanghaft am Daumen, zündeln mit dem Feuerzeug und gehen trotz heftigen Sturms mit einem Regenschirm spazieren. Das kann nicht gut gehen. Das geht auch nicht gut. Der Hans Guck-in-die-Luft fällt ins Wasser und kann nur mit knapper Not gerettet werden, seine Schultasche leider nicht. Konrad, den Daumenlutscher, bestraft „der Schneider mit der Scher’“.

„Ohne Daumen steht er dort,

Die sind alle beide fort.“

Und noch schlimmer kommt es für Paulinchen, die Pyromanin, und den essgestörten Suppen-Kaspar. Paulinchen setzt sich mit dem Feuerzeug selbst in Brand; und vom Suppen-Kaspar heißt es am Ende:

„Er wog vielleicht ein halbes Lot –

Und war am fünften Tage tot.“

Ganz so schrecklich geht die Geschichte vom Zappel-Philipp nicht aus. Philipp zappelt und schaukelt, bis er mit seinem Stuhl umfällt.

„Nach dem Tischtuch greift er, schreit.

Doch was hilft’s? Zu gleicher Zeit

Fallen Teller, Flasch’ und Brot,

Vater ist in großer Not,

Und die Mutter blicket stumm

Auf dem ganzen Tisch herum.

Beide sind gar zornig sehr,

Haben nichts zu essen mehr.“

Schlimm genug, aber wenigstens überlebt die Familie den Unfall. Dennoch kann es natürlich nicht so weitergehen mit Philipp und seinen eigenwilligen Altersgenossen. Doch bevor wir überlegen, was sich ändern muss, hören wir noch etwas über Kinder, diesmal nicht in Versen. Die zweite Geschichte steht im Matthäusevangelium.

„Die Jünger traten zu Jesus und fragten: Wer ist der Größte im Himmelreich? Da rief er ein Kind herbei, stellte es in ihre Mitte und sprach: Amen, ich sage euch, wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht ins Himmelreich hineinkommen.“

Ob es das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom schon zur Zeit Jesu gab, weiß ich nicht. Wenn, dann scheint sich Jesus nicht dafür zu interessieren. Sonst würde er seinen Jüngern nicht raten, sich ein Beispiel an den Kindern zu nehmen, und zwar an allen Kindern. Jesus macht keine Ausnahmen. Das unterscheidet die Bibelstelle vom „Struwwelpeter“. Dort sind die Kinder erst dann in Ordnung,

„Wenn sie ihre Suppe essen

Und das Brot auch nicht vergessen,

Wenn sie, ohne Lärm zu machen,

Still sind bei den sieben Sachen,

Beim Spaziergehn auf den Gassen

Von Mama sich führen lassen“.

So wünscht sich der Verfasser des „Struwwelpeter“ seine jugendlichen Leserinnen und Leser: keine Rüpel und Rabauken, sondern lauter kleine Erwachsene, gehorsam und angepasst. Auf die Idee, dass sich die großen Erwachsenen ändern könnten, kommt der Autor nicht. Bei Jesus ist es gerade umgekehrt. Für ihn sind die Kinder das Vorbild, nach dem sich die Erwachsenen richten sollen. „Amen, ich sage euch“, antwortet Jesus, als die Jünger wissen wollen, wer der Größte im Himmelreich ist, „wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht ins Himmelreich hineinkommen.“ Jesus sagt nicht ausdrücklich, worin sich Eltern oder Lehrerinnen und Lehrer ein Beispiel an den Kindern nehmen können. So viel verstehen wir trotzdem oder beginnen es zu verstehen: dass Jesus nicht danach fragt, was den Kindern noch fehlt, sondern danach, was sie schon sind.

Die Missetäter im „Struwwelpeter“ müssen sich bessern, bevor sie etwas zählen. Im Matthäusevangelium sind sie gut genug: neugierig, hilfsbedürftig und dankbar, manchmal laut und manchmal nervig – Kinder eben und darum genau richtig; so verstehe ich Jesus. Kinder können nicht ständig gehorchen und interessieren sich nicht von morgens bis abends für Mathematik, Englisch oder Religion. Dafür haben sie andere Stärken. Daran sollen sich die großen Erwachsenen erinnern, bevor sie sich darüber aufregen, dass Kinder keine kleinen Erwachsenen sind.

Ich nehme nicht an, dass Jesus erwartet, auch die Älteren sollten gaukeln und schaukeln, trappeln, zappeln und die Decke vom Tisch reißen. Aber wahrscheinlich können sie sogar vom Zappel-Philipp etwas lernen. Zum Beispiel dass es nicht immer so bleiben muss wie gestern und vorgestern und alle Tage. Etwas Neues ausprobieren – darin sind Kinder besonders gut.

„Ob der Philipp heute still

Wohl bei Tische sitzen will?“,

fragt der besorgte Vater im „Struwwelpeter“. Natürlich kann es nicht so weitergehen mit Philipp und seinen eigenwilligen Altersgenossen. Aber was sich ändern muss und wer sich ändern muss, Philipp oder die Eltern, ist nach dem, was wir von Jesus gehört haben, nicht mehr so klar. Das Essen vom Tisch reißen geht nicht, die Kinder zu Duckmäusern erziehen erst recht nicht. Vielleicht können sie sich darauf einigen, Philipp und seine Eltern, dass alle, die Kinder wie die Erwachsenen und besonders die etwas schwierigen Kinder, Zuwendung und Respekt verdienen.

Euch allen eine schöne Woche!

Euer Martin Schewe

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